Scene

Id
1555  
Name
Das war enttäuschend!  
Summary
 
Position
17  
Scenetype
Off Camera  
Created At
2014-05-10 19:27:07  
Edited At
2014-05-24 15:58:17  
Show
Vendetta 102  


Was für eine Entäuschung! Gleich ein prestigeträchtiges Match verloren. So kann keine gute Karriere beginnen. Jedenfalls nimmt Jiao das an. Momentan hat sie das PCWA-Center bereits verlassen, denn für heute steht in dieser Hinsicht nichts mehr an. Sie hat eine türkische Imbissbude erspäht und ist ganz aufgeregt, etwas völlig Neues zu probieren. Jiao hat vielleicht einmal in der Schule davon gehört, aber im chinesischen Leben hat die Türkei praktisch null Bedeutung. Und es ist ihr aufgefallen, dass unter anderem die türkischen Döner-Buden in Berlin sehr verbreitet sind. So sieht sie sich einem gut gebräunten Mann mit dünnem schwarzen Bart und Haargel gegenüber. Jiao liest die Menükarte hoch und runter, sie hat ein bisschen Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Nach halbem Raten und halbem Überlegen entscheidet sie sich für einen einfachen Döner.

Jiao: "Ehm... ich wünsche mir bitte Nummer 2."

Türke: "Einmal?"

Jiao: "Einmal."

Türke: "Mitnehmen oder gleich essen?"

Jiao: "Äh... mitnehmen? Achso, ich esse hier gleich."

Türke: "Macht 2,50."

2,50 von was? Hat sie akustisch etwas nicht verstanden, oder sagt man hierzulande so? In China sagt man üblicherweise die Währung gleich dazu, denn amerikanische Dollars spielen dort ironischerweise eine immer größer werdende Rolle, obwohl Yuan auf dem Weltmarkt so langsam den amerikanischen Konkurrenten deklassieren.

Jiao: "Entschuldigung, aber in welcher Währung soll ich denn zahlen?"

Der Türke sieht sie schief an, als ob Jiao plötzlich durchgeknallt wäre.

Türke: "Euro."

Achso, natürlich. Sie hat über Deutschland und Europa gelesen. Sie findet es sehr ungewöhnlich, dass viele Länder sich dazu entschieden haben, eine gemeinsame Währung durchzusetzen, obwohl sie sich kulturell mitunter stark unterscheiden. Jiao ist an der einheitlichen Organisation der Volksrepublik gewöhnt. Eigentlich ein Relikt des Mao-Regimes, denn das alte China war kunterbunt und abwechslungsreich. Wobei der Euro ja wiederum eine einheitliche Währung ist.

Sie kramt aus der Sporttasche ein paar Münzen heraus und blickt diesen an. Arabische Zahlen. Auch noch so ein Ding, das sie sich sehr schnell und deutlich einprägen muss. Sie findet arabische Zahlen aber genial und extrem einfach. Im China werden auch arabische Zahlen verwendet, aber die dortigen Leute wollen sich nicht so recht daran gewöhnen. Immerhin ist da ein sehr interessantes Kuriosum dabei: Das Militär verwendet arabische Zahlen tatsächlich als Standardstil.

Während sie so über das fremde Kultur nachdenkt, wird der Döner zubereitet. Nach paar Minuten überreicht der Türke Jiao den Döner. Jiao stellt sich mit dieser an einem runden Tisch. Sie schaut mit großen Augen das Ding in ihren Händen: So groß und so viel Fleisch!

Jiao: "Deutschland ist wohl gut ausgestattet, was die Nahrungsmittel anbetrifft. Aber so viel Fleisch auf einmal?"

Sie beißt ein kleines Stück ab. Hmm, schmeckt gut. Aber es fehlt ein wenig Würze. Es schmeckt aber auch irgendwie... sehr schwach scharf. Sie beißt noch einmal rein und entscheidet, dass türkisches Essen recht gut ist.

Sie blickt sich um. Leute gehen an ihr vorbei. Ein junger Mann mit herumgedrehter Basecap und tief sitzender Jeans bestellt etwas. Sehr komischer Modestil. Ob das überhaupt bequem ist, wenn die Jeans so tief sitzen? Jiao hat übrigens sich ein wenig an den westlichen Stil angepasst: Jeans, langes T-Shirt und Jacke. Sie findet Jeans richtig super, denn sie hat in ihrem Leben noch nie solche Hosen getragen. Sie hat beim Kauf ein wenig Zweifel gehabt. Von außen sieht das ziemlich eng aus. Aber als sie diese Jeans anprobiert hat, hat es alles gepasst. Sehr praktisch und ergonomisch. Mit Hosentaschen und Reißverschluss. Sie entdeckt an einem weiteren Tisch, leicht abseits, einen ziemlich finster dreinblickenden Mann mit langen ungekämmten Haaren und Vollbart. Sie mustert den Mann in der Lederjacke genauer. Er scheint ziemlich vieles gesehen zu haben und das Meiste davon wohl nichts Gutes. Dabei bemerkt sie eine große Narbe neben seinem linken Auge, die sich wie ein Wurm von oben nach unten durchzieht. Sie erkennt weitere, kleinere Narben auf seinem Gesicht. Meilenweit davon entfernt, ein Model zu sein. Gruselig.

Plötzlich erscheinen zwei Männer um die Ecke. Der eine ist ziemlich dick und trägt Jeansjacke und abgerissene Hosen. Der andere ist dünner, hochgewachsen und trägt eine Bomberjacke. Beide tragen Kampfstiefeln und Glatzen.

Dicker Mann: "Hey, guck' mal. Ein Penner, eine Asiatin und 'ne Türkenbude. Ein echter Ausländertreff! Die müssen wir ausrotten!"

Dünner Mann: "Geht klar. Zuerst nehmen wir diese kleine süße Asienfrau vor."

Beide nähern sich zu Jiao, sie bemerkt sie erst, als beide Männer fast direkt vor ihr stehen.

Dicker Mann: "Oooh, du hast aber geile Titten. Wie schmeckt diese Türkenscheiße, Ausländerhure?"

Dünner Mann: "Warum lassen wir nicht die anderen weg und nehmen diese Asiatin mit zu unserem Haus? Da können wir sie richtig durchnehmen!"

Dicker Mann: "Das is' 'ne Idee! Wollte schon immer ausprobieren, ob mein Schwanz in asiatische Löcher passt."

Dünner Mann: "Haha, du bist aber einer."

Jiao versteht von alldem nichts, denn beide Männer benutzen komische Wörter. Aber die Tonlage und wie sie sich gestikulieren, gefällt es ihr überhaupt nicht. Der Türke ist nirgends zu sehen, scheint im Hintergrund plötzlich schwer beschäftigt zu sein und der langhaarige Mann interessiert sich nicht eine Bohne für diese Unterhaltung. Jiao bemüht sich um eine diplomatische Haltung.

Jiao: "Entschuldigt bitte die Herren. Ich bin von China und recht neu hier. Ich habe noch Schwierigkeiten mit deutscher Sprache. Könnt ihr bitte mir vielleicht etwas verständlicher erläutern?"

Beide Männer starren sich sprachlos einander an, dann brechen beiden in brüllendes Gelächter aus.

Dicker Mann: "Ahahahaha... Huh, was redet die was für einen Dünnschiss!"

Dünner Mann: "Ich glaube, wir nehmen sie erst einmal mit und erklären es ihr mit... etwas eindeutigerer Sprache als Deutsch... hehe."

Plötzlich kommt eine neue Stimme aus dem Off. Eine schwere Reibeisenstimme.

Reibeisen-Stimme: "Das würde ich an eurer Stelle unterlassen. Sie ist eine erprobte Kämpferin und es tut mächtig weh, wenn man ihr gegenüber unhöflich ist. Also verschwindet besser, ihr Nazi-Schweine."

Der Bettler steht immer noch am Tisch und blickt zur befahrenen Straßen. Die beide Skinheads drehen sich zu ihm rüber.

Dicker Mann: "Guck mal einer an. Der Hurensohn will einen Helden spielen. Ich glaube, wir müssen ihn mal auf den Boden der Tatsachen zurückholen."

Dünner Mann: "Allerdings. Der glaubt wohl, ein Arschloch aus einem Comic zu sein, der unverwundbar ist. Na dann, zeigen's wir ihm!"

Beide gehen zum Mann rüber, der Dicke schiebt den runden Tisch weg, aber der Mann ist mehr oder weniger unbeeindruckt. Nun schubst der Dünne den Reibeisen-Mann an und der Dicke holt zum Schlag aus. Doch dann geht alles sehr schnell.

Mit einem sehr geübten Gegenschlag blockt das "Opfer" den Angriff und knallt den Arm, welcher von ihm blitzschell ergriffen wurde, auf die Kante des weggeschobenes Tisch. Der dicke Nazi heult auf, der dünne Mann sieht schockiert zu, und versucht aus dem Hinterhalt anzugreifen. Aber viel zu langsam. Simpel und doch effektiv weicht der ruppige Mann ihn aus und schiebt von hinten, das Ungleichgewicht auszunutzend, den Nazi herum, sodass der dünne Nazi mit dem Gesicht an die Wand der Türkenbude knallt. Ein Knacken ist zu hören.

Der dicke Nazi steht winselnd auf und sieht die sich deutlich verschlechternde Situation. Also tritt er die Flucht an und nimmt seinen inzwischen aus der Nase blutenden Kumpel mit. Jiao sieht sich das Ganze mit großem Interesse an. Alles hat nicht mal eine halbe Minute gedauert. Sie guckt zu dem Mann mit der Narbe rüber, der auf sie zukommt.

Reibeisen-Stimme: "Die junge Lady sollte besser wissen, dass Deutschland kein Wunderland ist."

Na, besonders höflich ist er nicht. Aber immerhin hat er sie aus einer sehr prekären Situation gerettet. Dafür steht sie in seiner Schuld.

Jiao: "Ich möchte Ihnen danken, dass Sie mich beschützt haben. Mein Name ist Jiao Chengzho. Darf ich Ihren Namen wissen?"

Reibeisen-Stimme: "Beschützen? Nee, habe nur einer hässliche Vergewaltigung vorgebeugt. Ich bin Saunders Erker. Aber ich werde nur Greyhound genannt."

Jiao: "Das ist ein englisches Wort für Grauhund. Ich soll Sie Grauhund nennen?"

Greyhound: "Nein, Greyhound! Kommt besser rüber."

Jiao: "Wie Sie wünschen. Aber ich kann nicht nachvollziehen."

Greyhound: "Musst du auch nicht."

Jiao: "Es wäre angenehmer, wenn Sie zu mir siezen. Soviel Deutsch kann ich allemal."

Greyhound: "Das kannste für hohe Tiere aufsparen. Siezen ist eigentlich Käse."

Jiao: "Käse?"

Greyhound: "Bedeutet wie Mist."

Jiao: "Wenn Sie soviel über Ihrem Kultur wissen, warum assistieren Sie mich nicht ab und zu?"

Greyhound: "Wie... assistieren? Etwa dir helfen?"

Jiao: "Offenbar lauert hier hinter dunklen Ecken Unangenehmes. Sie könnten mir helfen, solche Gefahren zu erkennen. Übrigens sehr interessanter Kampfstil. Vielleicht Krav Maga?"

Greyhound: "Nö. Straßenkampfstil anno '84."

Greyhound blickt grimmig die kleine Chinesin von oben bis unten genau an. Der Mann hat eine ordentliche Statur, aber durch die lässige Bekleidung ist es nicht zu erkennen, ob er durchtrainiert ist. Power hat er aber auf jeden Fall, schlussfolgert Jiao. Der sieht jedenfalls aus wie ein in der Geschichte verloren gegangener Raubritter aus.

Jiao: "Würden Sie mir helfen?"

Greyhound: "Vielleicht. Gegen Entgelt."

Jiao: "Was ist 'gegen Entgelt'?"

Greyhound: "Ich hampel' nicht ohne Bezahlung mit dir durch die Stadt. Klar?"

Jiao: "Ich könnte Sie pro Woche fünf Euro bezahlen, Herr."

Greyhound trinkt seine Bierdose in einem Zug aus, starrt Jiao an. Dann lacht er rauh auf.

Greyhound: "Harharhar. Guter Witz. Ich seh', du hast für einen feuchten Traum China verlassen. Vielleicht werden die Chinamänner dort so schlecht bezahlt, aber wir sind in einem verfickt reichen Land, wo die Wirtschaftsbonzen Einwanderer für mehr Geld bezahlen. Auch die Schlampen werden für billiges Ficken mehr bezahlt. Und ich bin ein verdammter Deutscher und ich werde nicht für ein paar läppische Euro in der WOCHE für dich den Aufpasser spielen."

Jiao: "Bitte mäßigen Sie Ihren Ton. Ich habe doch Ihnen nichts angetan. Was stellen Sie sich denn vor?"

Greyhound: "Also gut, so ein Arsch bin ich wieder nich'. Fünf pro Tag oder 45 pro Woche. Und ich bringe dir alles bei, was du über Deutschland und die deutschen Leuten wissen musst."

Hmm, 45 Euro in der Woche? Das ist doch ganz schön happig. Aber was weiß sie denn schon von deutschem Geld. Ob er vielleicht sie nur über den Tisch ziehen will? Irgendwie nein. Klar, dieser Greyhound ist der Letzte, mit dem Jiao sich befreunden würde, aber sie steht immer noch in seiner Schuld. Chengzho entscheidet sich dafür, ihn erst einmal voll zu zahlen. Sie kann ja immer noch rausfinden, ob das zuviel verlangt ist oder nicht.

Jiao: "In Ordnung. Muss ich irgendetwas jetzt tun? Ein Vertrag besiegeln vielleicht?"

Greyhound: "Scheiß drauf. Halte dein Versprechen und zahl's mir. Verscheißere mich nicht und ich werde dich nicht verscheißern. Wenn man so etwas ausgemacht hat, schüttelt man halt die Hände. Klar?"

Jiao und Saunders schütteln die Hände. Jiao hat immer noch dieses mulmiges Gefühl, aber wie üblich zeigt sie keine Gefühlsregung.

Jiao: "Woher wissen Sie eigentlich, dass ich eine kampferprobte Kämpferin bin?"

Greyhound: "Ich habe dich beim Verlassen des PCWA-Centers gesehen. Dort schickt man im Normalfall keine Weicheier hin. Außerdem könnt ihr alle Chinesen Kung-Fu, oder?"

Jiao: "Nein. Nur die wenigsten können es. Eigentlich mache ich kein Kung-Fu, sondern Wushu."

Greyhound: "Wushu? Sowas wie Wushiwaschi oder was? Egal. Für heute ist genug. Ich hole ein Bier. Wiedersährrn!"

Das hat wie "Wiedersehen" geklungen. Nun denn, das war wirklich eine aufschlussreiche Erfahrung. Jiao sieht den halben Döner, der inzwischen so kalt wie eine Leiche ist, an. Sie verspürt keinen Hunger. Und sie mag Greyhound nicht, aber er scheint ehrlich zu sein. Bis zum gewissen Grad ganz bestimmt. Jetzt macht sie sich auf dem Weg zu ihrem Hotel, um sich ein wenig auszuruhen und Training zu machen.



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