Scene

Id
1570  
Name
Finger durchs Gitter  
Summary
 
Position
33  
Scenetype
Live  
Created At
2014-05-16 08:57:26  
Edited At
2014-05-29 12:39:13  
Show
Vendetta 102  


 

Vor ein paar Wochen hatten hier Autos gebrannt. Hier waren Scheiben geborsten, Metall verbogen, Splitter geflogen, während in brachialer Eleganz die Konterfeits der Nicotine & Bacteria an die Fassade des Theatres projeziert wurden. Ihre schwarzen Augen sehen dieses Bild noch immer. Ihre Lippen öffnen sich leicht, verträumt, als sollten geflüsterte Verwünschungen aus ihr entfliehen und wie Gespenster in der Nacht verschwinden.

Bleed liegt auf der Motorhaube eines Nissan, das rechte Bein angewinkelt, beide Arme zur Seite ausgebreitet. Der Abendwind spielt mit den blutroten und schwarzen Haarsträhnen, die in  ihr Gesicht fallen. Auf ihrem schwarzen, schulterfrei geschnittenen Shirt prangt die gesprayte, weiße Zahl, die für sie den Anfang und das Ende der Existenz darstellen.

Über ihr glitzern die Sterne, irgendwo irgendwann zufällig geborene Konstellation am Himmelszelt. Entstanden aus Unwegbarkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, die auch Bleeds Leben maßgeblich beeinflusst hatten. So wie auch jetzt. Einer Begegnung, die aus dem Zufall geboren wird, die aber genauso gut Bestimmung hätte sein können.

Sie hört das Knirschen lose auf dem betonierten Grund verteilten Rollsplitts und ein schwerfälliges Ächzen, das ihr Sekunde für Sekunde näher kommt. Sie macht sich jedoch nicht die Mühe, zu überprüfen, wer ihr da genau entgegenkommt.

„Das finde ich jetzt irgendwie ironisch.“

Diese Stimme hat sie schon einmal gehört.

Bleed: „Kriss Dalmi.“

Die Antwort darauf ist ein Husten, gefolgt von einem unterdrückten Aufstöhnen. Bleed neigt den Kopf nach vorn, um sich zu vergewissern, dass ihre Feststellung der Wahrheit entspricht und wendet sich daraufhin wieder der Unendlichkeit des sich vor ihr ergießenden Lichtermeeres zu. Der Serbe schließt mit nach vorn gebeugtem Oberkörper und leicht humpelndem Gang zu ihr auf. Sein Rücken ist übersät von dunkelroten Hämatomen. Jedes einzelne davon für die nächsten Tage eine Erinnerung an jeden einzelnen Stuhlschlag, der ihm heute zugefügt wurde. Schnell merkt er, begleitet von einem schmerzhaften Zischen, dass es keine gute Idee ist, sich auf die Motorhaube neben die N&B-Botin zu gesellen und stellt sich stattdessen neben den Nissan. Mehr noch, als sonst wirkt er in ihrer Nähe wie ein Wrack, doch das scheint das Schmunzeln nicht aus seinem Gesicht zu wischen.

Kriss Dalmi: „Nicotine & Bacteria. Außerhalb eures angestammten Kellerhabitats voll schützender Betonwände und Sicherheitstüren. Ich hab euch ja allesamt für Agoraphobiker gehalten aber wenn du dich hier ins Freie traust, dann muss auf diesem Parkplatz ja bald wieder euer nächster Anonymous-Rave steigen. Korrigiere mich bitte, wenn ich da falsch liegen sollte!“

Er wartet auf eine Reaktion, doch Bleed lächelt nur den Sternen zu. Ihre Zähne blitzen kurz hinter den schwarz bemalten Lippen. Ihre Augen schließen sich für Sekundenbruchteile.

Bleed: „Ich weiß noch wie ich als kleines Mädchen in Kanada dabei zusah, als ein Fohlen geboren wurde.. Es war eine Nacht wie diese hier. Und der Himmel war schwarz und wütend und gefüllt mit Gewitter und Elektrizität. Im Stall war es dunkel, die Stute gebährte in den Schatten, auf das niemand ihr Neugeborenes zu Gesicht bekommen sollte.“

Sei dreht ihren Kopf zur Seite, zu Kriss. Gerade so als würden sie auf Betten gegenüber liegen und sich Geschichten erzählen vor dem Einbruch finsterster Nacht.

Bleed: „Das Fohlen lag dort, in der Dunkelheit. Feucht und äußerlich schwach.. aber so voller Energie und Stärke, dass es nicht anders konnte, als sich auf die Hufe zu stellen. Und ihre Beine – egal ob zitternd und um Halt kämpfend – stampften in die Erde, solange bis es stehen konnte.. Die Blitze zerpflügten die Nacht, der Donner grollte bis der Boden erbebte.. doch das Fohlen richtet seinen Blick hinaus.. aus dem Stall.. zur Weide. Weil es – ganz gleich ob es in den Schatten zur Welt kam – hinaus muss.. laufen muss.. in Freiheit.“

Er mustert sie fragend, sucht ihren daliegenden Körper nach Antworten ab, kratzt sich am Hinterkopf.

Kriss Dalmi: „Und nun verrätst du mir sicherlich die große Pointe deiner kleinen Anekdote. Oder warte! Lass mich sie erraten. Man hat das Fohlen wachsen lassen und anschließend dick und fett gefüttert, nur um es am Ende zu Pferdewurst zu verarbeiten. Ist es nicht so?“

Bleed kramt eine Zigarettenschachtel hervor. Es ist eine Benson & Hedges, die sie hoch zum Nachthimmel hält. Ihre Augen ziehen sich zusammen und werden finster, wahr und böse.

Bleed: „Wir haben dich beobachtet, Kriss.. Er hat die Botschaft auf der Schachtel gelesen.. er hat getan wonach gebeten wurde. Und er hat zugesehen, während du Jeffrey Ron Arrow immer und immer wieder zum Tanz aufgefordert hast.. du standst dort, auf der Tanzfläche, angestarrt von allen die dich widerlich finden.. bereit.. die Hand ausgestreckt. Immer wieder.. Und nie setzte Musik ein, Kriss. Es ließ dich erscheinen wie einen traurigen Verlierer, einen seltsamen, von allen gemiedenen Nerd, der sein Date für den Prom verärgert hat und aus Verzweiflung über den Korb irgendeine dumme Gans aus dem Cheerleader-Squad abschleppt. Blaze ist nicht Arrow.“

Er macht einen Ruck nach vorn, stemmt sich mit den Händen auf dem kühlen Stahl der Karosserie ab, bloß um diese plötzliche Bewegung mit einem Zähneknirschen in der nächsten Sekunde zu bedauern.

Kriss Dalmi: „Ist das deine Art von Humor, ja?! Nun, lass mich dir das richtige Ende deines kleinen High School-Exkurses verraten. Der Director's Cut, wenn du so willst! Ich HABE sie abgeschleppt und es gab das Happy End, der Kuss unter der Diskokugel und der phänomenale Sex im Bett ihrer Eltern mit einbegriffen. Zugegeben, der Geschmack ihrer Pussy war nach all den Lügen bittersüß aber im Gegensatz zu euch allen habe ich die Wahrheit hautnah miterlebt. Ich war näher dran als jeder andere. Keine seiner Metaphern, Aphorismen oder Gleichnisse, mit denen er eure Fäden lenkt, kommt dem gleich. Und ich? Ich abstrahiere sie, transformiere sie, lasse sie nach meinem Willen wieder auf die Menschheit los. Du begreifst einen Dreck. Eleven, hingegen, wird den Wert meiner Arbeit irgendwann schätzen lernen, egal ob es 10 oder 10.000 Gemälde braucht, die ich noch anfertigen muss!“

Bleed richtet sich auf der Motorhaube des Nissan auf.
Ihre Augen funkeln im Halbdunkel.
Diese Gestalt gibt auch Dalmi Rätsel auf, so wie vielen anderen auch. Man möchte dieses Mädchen hassen und ihr die Lippen blutig schlagen, weil man sie dann trösten möchte und ihr anbieten kann, das Blut wegzuwischen. Man möchte diesen in kaltes, schwarzes Tuch gewickelten Körper festhalten, umklammern oder zumindest zerstören. Es gibt kein Lauwarm bei Bleed. Sie verkörpert Für und Wider in schreiender Gegensätzlichkeit.

Bleed: „Denkst du wirklich, du wärst noch Nicotine & Bacteria-Material? Glaubst du wirklich, wir würden um dich kämpfen wollen? Wer bist du - außer einem tumben Fleischer mit stumpfer Knochensäge?“

Kriss Dalmi: „Fick dich, du kleine...“

Bleed: „Du wolltest ihn überzeugen.. du wolltest UNS überzeugen. Was hast du geboten außer sinnfreie Exzesse und wildes Um-Dich-Schlagen? Du bist degeneriert.. zum belächelten Schlacht-Maskottchen in einem selbst gewählten Gehege.. du achtest auf die Fütterungszeiten.. du rüttelst nicht am Gitter.. du solltest die FINGER abreißen, die dein Gefängnis bauten anstatt die Ratten zu jagen, die durch deinen Zaun schlüpfen.“

Kriss Dalmi: „HALT DEINE FRESSE, DU VERFICKTE HURE!!!!“

Das war zu viel der Kritik. Ungestüm und die allgegenwärtigen Schmerzen ausblendend, stürzt sich der selbstbetitelte Künstler auf Bleed und holt in der Bewegung mit seiner geschlossenen Rechten aus.

Das Apocalypse Girl hat gelernt sich zu verteidigen.
Und hier tut sie das Erste, was er ihr beigebracht hat.
Sie dreht ihren Körper leicht zur Seite, bringt ihr Gesicht aus dem Schlagwinkel, während sie sich gleichzeitig dicht an Dalmi presst und mit voller Wucht das rechte Knie hochzieht.

Kriss Dalmi wird heftig in den Weichteilen getroffen, taumelt zur Seite, kann sich nach diesem empfindlichen Treffer kaum auf den Beinen halten.
Bleed legt nach.
Sie holt kurzentschlossen mit dem rechten Arm aus. Dalmi’s Kopf wird durch die heftige Ohrfeige zur Seite geschleudert. Einen Schubser noch hinterher, dann landet der überraschte Kriss tatsächlich auf dem Asphalt.

Sie funkelt Dalmi an, als sie sich über ihm aufbaut.

Bleed: „Du bist ein NIEMAND, Kriss Dalmi.. Nichts als ein verlorener kleiner Junge, der sich hinter viel zu großen Staffeleien versteckt, weil er die Welt dahinter nicht ertragen kann.. Dein Werk ist nichts als Fassade. Deine Bilder sind so beschissen schlecht, dass deine Feinde – so fern du noch welche halten konntest – eher Mitleid mit dir bekommen anstatt dich zerstören zu wollen. Du kannst den Pinsel fehlerfrei halten.. du kannst Rot vom Rest der Farben unterscheiden.. doch das macht dich nicht zu einem Künstler. Es macht dich zu einem traurigen Einzelschicksal. DU bist keine Bedrohung, Kriss Dalmi.. du bist kein Alptraum der PCWA.. du bist das traurige, verlorene, geringste Übel in Form eines dummen Jungen, dem nicht einmal die verzweifeltsten Nutten gegen Bezahlung die ekelhafte Jungfräulichkeit entreißen würden.“

Bleed funkelt ihn noch kurz an, um ihre Worte ausklingen zu lassen.
Dann wirft sie die Benson & Hedges-Schachtel. Diese prallt neben Kriss auf den Asphalt auf, springt auf und einige Zigaretten rollen über den Parkplatz.

Tränen schießen dem Serben in die Augen, er wendet seinen Blick ab. Hin zu der Zigarettenschachtel. Auch sie bargen einst eine Wahrheit, das vermeintliche Ende einer lebenslangen Sinnsuche, nur um sich am Ende doch als Täuschung herauszustellen und einen neuen verdorbenen Setzling aus einem Dünger voller Lügen in den Himmel treiben zu lassen, dem man beim Wachsen und Gedeihen zusah und von dem man hoffte, dass er das ersehnte, definitive Ende bedeuten würde. Eine nicht enden wollende Schnitzeljagd. Gemälde führten zu Zigarettenschachteln. Zigarettenschachteln führten zu Masken. Und Masken? Wohin führten sie? Zurück zu den Gemälden? Oder doch eine letzte Täuschung zum Abschied?

Kriss Dalmi: „Neinnn..... NEIN!!!! Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr!“

Der verlorene, kleine Junge hämmert verzweifelt mit seinen Fäusten auf die kleine Pappschachtel und die herausgefallenen Zigaretten ein. Es dauert nicht lange bis sich Schürfwunden an ihnen bilden.

Bleed schaut auf Kriss Dalmi, vielleicht verachtend, vielleicht bedauernd. Auf jeden Fall zufrieden. Sie sieht, wie er als vermeintlich krankes Häufchen dort auf dem Boden liegt. Dalmi versucht, die Reste der Zigaretten mit zitternden Fingern zusammen zu krallen, um sie wieder in die Schachtel zu stopfen. Und während sie geht, hört sie seine erstickten Worte, die der leichte Nachtwind davon trägt.

‚Es ist nicht wahr.. NICHT WAHR!’

 

Mike Garland: "Gut, dass wir unsere Autos seit den... Vorfällen vor einigen Wochen in er Tiefgarage parken dürfen. Wem gehört der Nissan? Oder sollte man besser fragen: Stört es wen, dass Bleed es sich auf der Motorhaube bequem gemacht hat?"

Vincent Craven: "Sie fungiert in dieser Show als eine Art Sprachrohr für Nicotine & Bacteria. Es ist ihre Zunge, welche die Worte formt, aber in den Mund gelegt werden sie ihr von Eleven."

Mike Garland: "Kriss Dalmi sucht immer noch Elevens Anerkennung. Wie deprimierend diese Abfuhr für ihn sein muss."

Vincent Craven: "Ich finde, er hat es fast gut verarbeitet. Das hätte ich mir bei diesem durchgeknallten Serben noch viel schlimmer vorstellen können."

Mike Garland: "So erleidet eben jeder das Schicksal, das er verdient. That's it."

Vincent Craven: "Dalmi sieht sich nun einmal als Künstler, so dass ihn Bleeds Worte hart getroffen haben müssen. Ob das Konsequenzen haben wird?"

Mike Garland: "Alles hier hat irgendwann einmal Konsequenzen. Irgendwann einmal."



Actions