Scene

Id
4452  
Name
Abschied  
Summary
 
Position
3  
Scenetype
Off Camera  
Created At
2020-02-06 16:22:30  
Edited At
2020-02-28 12:17:59  
Show
Imperial Impact 13  


Einen Tag vor dem Imperial Impact.

Masao Kai Ito sitzt als letzter Wrestler des Abends in der Umkleide im muffigen Hinterraum eines Saals, der nach Wrestling stinkt. Er starrt auf sein Handy, dessen Display vor langer Zeit erloschen ist. Seine Augen schauen dabei so weit ins Nichts, dass er die Nachricht nicht lesen könnte, selbst wenn der Bildschirm noch aktiv wäre. Vergessen würde er sie jedoch auch nicht mehr.

„Guten Tag, Herr Ito. Wir haben uns dazu entschlossen Ihnen ein Angebot zu machen. Eine Vertragskopie wird an Ihre Privatadresse in Hannover geschickt. Zur Unterzeichnung laden wir Sie zum Imperial Impact 13 ein. Mit freundlichen Grüßen, das PCWA Office.“

Obwohl er auf diese Nachricht gewartet hat, seit er seine Kontakte im deutschen Wrestling Business bemüht hat, obwohl er seit Monaten jeden Abend gehofft hat, dass der nächste Tag endlich das Angebot bringen würde, war seine erste Reaktion: Unglauben. Unglauben, dass es wahr sein könnte. Unglauben, dass sie ihm tatsächlich ein Angebot machen würden, nach allem, was vorgefallen war. Unglauben, dass er doch noch eine Chance hatte sein Wort zu halten.

Er hatte sich Jahre lang damit zufrieden gegeben in den Indy-Promotions der Welt aktiv zu sein. Meist in Deutschland, aber oft auch in Amerika, Australien, Japan oder, so wie heute, in England. Er hatte sich einen gewissen Stand erarbeitet. Früher am Abend hatte er im Co-Main Event des Abends mit einem britischen Indy-Wrestler namens Degrado in einem Tag Team gekämpft. Weder kannte noch mochte er ihn besonders, aber es war ein vergleichsweise guter Payday. Sonst hätte er so einem relativ merkwürdigen Tag Team Match gar nicht erst zugestimmt. Er hatte in seiner langen Karriere immer das Singles Wrestling als reinste Form seiner Kunst betrachtet. Die Tatsache, dass sein Rücken seit ein paar Wochen angeschlagen war, hatte seine Entscheidung allerdings erleichtert. Also hat er seine Meinung über Degrados unnötig pompösen Stil runtergeschluckt und sein Bestes gegeben. Das Match hatten sie nach einem innovativen Backbreaker verloren. Normalerweise hätte er sich lange darüber geärgert, doch kaum zurück in der Umkleide, hatte er die Nachricht der PCWA gelesen. Degrado, der Bekannte in der PCWA hat, war es, der ihm die Echtheit der Nummer bestätigen konnte. Die Freude darüber war groß genug, um die Niederlage vergessen zu machen. Am Ende war es doch sowieso nur ein Tag Match. So ehrgeizig er war, verlor er doch lieber in einem Tag- als in einem Singles Match.

Bisher hatte Masao nur seine Jeans und die Schuhe angezogen. Nach jedem Kleidungsstück hatte er den Bildschirm auffrischen lassen, um sicher zu gehen, dass die Nachricht noch immer da war, dass er sich nichts eingebildet hat. Irgendwann hatte er einfach aufgehört sich weiter anzuziehen und sich auf die Bank gesetzt. Das war jetzt locker zwanzig oder dreißig Minuten her. Er konnte es wirklich nicht sagen.

Halbnackt und mit dem Handy in der Hand steht er auf und geht zurück in den Saal, in dem er heute gekämpft hat. Der Weg ist nicht weit, die Tür der Umkleide führt ihn direkt in den Saal. Hier riecht es noch immer bedenklich nach Post-Wrestling-Show-Geruch. Ein Duft, der sich in der näheren Zukunft nicht als Duft verkaufen würde, vor allem nicht an einige dieser Fans, die sich partout weigerten jedwedes Deo anzuwenden. Er schätzte, dass heute etwa fünfhundert Leute im Publikum gesessen haben. Sie waren alle bereits weg. Auf dem Heimweg oder betrunken in den Pubs der Umgebung verstreut. Degrado hatte ihn eingeladen mitzukommen und in einem dieser Pubs die kostenlosen Getränke der Fans zu akzeptieren, aber Masao machte sich nichts aus Alkohol.

„Komm schon, zur Feier des Tages, Masao.“, hatte er gesagt. In etwas anderen Worten.

Degrado benutzte das Wort „Cunt“ wie andere das Wort „Du“. Masao hatte trotzdem abgelehnt. Er hatte schon immer eine gewisse Distanz zu seinen Kollegen gesucht, vor allem flog er aber noch heute Nacht zurück nach Deutschland. Wäre das nicht sowieso der Plan gewesen, hätte er seinen Flug nach dieser PCWA-Nachricht notfalls umgebucht. Er würde sich zwingen müssen, den Vertrag vor dem Unterschreiben zu lesen. Zu viele Promoter zocken ihre Wrestler ab. Masao vermutet, dass große Promotions nicht besser sind als kleine. Vermutlich versteckten sie ihre Abzocke nur besser.

Über die Ringtreppe steigt Masao in den leeren Ring. Morgen gab es eine weitere Show, an der er nicht teilnahm, weshalb der quadratische Kreis ausnahmsweise nicht direkt nach der Show abgebaut worden ist. Morgen hätte er in seinem Singles Match seine Rache an einem alten Gegner haben können, doch den morgigen Termin konnte er schließlich nicht verschieben. Dafür hatte er sogar einen vergleichsweise guten Zahltag sausen lassen, aber ein Versprechen war ihm wichtiger als Geld. War es schon immer und würde es auch immer sein.

Langsam dreht Masao sich um die eigene Achse und schaut sich den Saal noch einmal in seiner Gänze an. Die Beleuchtung ist auf das Minimum reduziert, eigentlich sollten ja schon alle gegangen sein. Der hintere Teil des Saals liegt tief im Schatten. Er kann die Umrisse nur erahnen. Der Ring, im Halbdunkel, fühlt sich ungewohnt an, und doch könnte er blind darin agieren. Die Ringseile, die Turnbuckle, der Ringrand. Selbst mit geschlossenen Augen könnte er sich hier punktgenau zurechtfinden. Fünfzehn Jahre In-Ring-Erfahrung plus zwei Jahre Training vor seinem ersten Match. Diese Zeit hat gute wie schlechte Spuren hinterlassen. Das feine Ringgefühl war genauso das Resultat daraus, wie die malträtierten Lendenwirbel. Die Kulmination seiner Karriere soll nun aber erst folgen.

Masao atmet schwer aus. Die Last des Ganzen ist metaphysisch, doch das macht sie nicht weniger schwer.

Obwohl sie ihn nostalgisch werden lassen, ist weder der Ring noch der Saal, in dem er sich befindet, etwas Besonderes. An jedem anderen Tag wäre er längst gegangen, ohne die Umgebung zu beachten, doch heute steht er nicht mehr einfach nur in einem durchschnittlichen Wrestling-Ring in einem mittelmäßigen Saal in London. Nein, heute steht er in hundert verschiedenen Ringen in fünfhundert verschiedenen Sälen, in denen er tausend verschiedenen Gegnern gegenüberstand. Dies würde sein letztes Indy-Match gewesen sein.

Wie viele Matches er wirklich hatte, weiß er nicht mehr. Zu Beginn seiner Karriere hatte er noch gezählt, weil es aufregend war, doch diese Zeiten liegen lange hinter ihm. Tausend waren es nicht. Hunderte? Ein paar vermutlich. Mit Sicherheit kann er nur sagen, auf fünf Kontinenten gewrestlet zu haben. Europa, Asien, Nordamerika, Südamerika und Australien. Stolz war er darauf, weil er es auf seine Art gemacht hat. Pure Wrestling. Früher als Striker, später, vor allem unter der „Wolf Mask II“-Maske als Counter Wrestler. Aber immer als Wrestler. Nicht als Trash Talker, nicht als Spot Monkey, nicht als Death Match Monster. Sondern als Wrestler. In einer Zeit in der immer mehr junge Wrestler lieber eine Persönlichkeit sein wollen, erfüllt ihn das mit Stolz. Er ist kein Youtuber, sondern ein Kämpfer!

Er war sich schon früh bewusst, dass das seine Karriere gewissermaßen einschränkte. Er war nie der große Publikumsmagnet in den Indys. Seine T-Shirts verkauften sich zwar, aber nicht so heftig wie die, der „Next Big Things“, die gerade der heiße Scheiß waren. Aber damit konnte er leben. Denn auch wenn sie nicht DER Verkaufsschlager waren, verkauften sich seine Shirts mittlerweile trotzdem basierend auf seinem Ruf. Er war seit Jahren derjenige, gegen die man die Next Big Things in verschiedensten Promotions stellte, wenn man ihre beste Leistung sehen wollte. Wie oft hatte er in den sozialen Medien gelesen „XXX ist der größte Star, den wir haben, stellt euch vor, wie ein Match zwischen ihm und Masao ausarten würde.“? Gerade in Europa hatte er einige großartige In-Ring-Schlachten gegen phänomenale Performer geschlagen, bevor sie zu höheren berufen wurden. Und nun war es auch für ihn soweit. Entgegen aller Logik hat man ihm mit vierunddreißig Jahren noch ein Vertragsangebot für die größte deutsche Wrestling-Liga gemacht.

Die PCWA. Ob er es will oder nicht, sie ist der Endboss. Das letzte wirklich echte Ziel auf Masao Kai Itos bucket list. PCWA Champion werden. Er würde alles dafür tun.



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