Scene

Id
4476  
Name
Ich habe das Kleingedruckte nicht gelesen.  
Summary
 
Position
14  
Scenetype
Off Camera  
Created At
2020-02-21 22:20:33  
Edited At
2020-03-02 21:47:48  
Show
Imperial Impact 13  


Imperial Impact. 20:35 Uhr.

Gestern hatte er noch eine Unterhose an. An mehr konnte er sich nicht erinnern, als er es endlich mit einem Privatjet nach Deutschland geschafft hat. Zum Termin kommt er wie immer zu spät, trägt aber wenigstens eine Krawatte, von der er nicht weiß, woher sie kommt. Besser als nichts, denn das Kofferpacken hatte er ja vergessen. Nur seinen Rucksack, einen Kater und das wasserfeste Andenken auf seiner Stirn hat er dabei.

„Da steht eine Nummer“, informiert ihn ein großer, blonder Mann im Anzug, indem er auf den Bereich zwischen den Schläfen deutet. Jesse Adams verdreht die Augen und versucht, seine eigene Stirn anzuschauen.

„Vertrau mir. Da steht eine Nummer“, wiederholt der PCWA-Angestellte amüsiert und versucht seinem schielenden Gegenüber nicht gleich das Gefühl zu geben, ein völlig verblödeter Idiot zu sein.

„Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Chris“, der schon viele Idioten hat kommen und gehen sehen, „und ich werde dich begleiten.“

Beide stehen noch außerhalb des Gebäudes und geben sich die Hand zur Begrüßung. Jesse Adams ist hoch erfreut, auch wenn er sich etwas underdressed fühlt. Er trägt schließlich noch immer dieselben Klamotten, wie gestern in Johannesburg. Plötzlich hört man euphorisches Geschrei hinter dem weit entfernten Absperrgitter. Zwei, drei Fans haben ihn entdeckt und können ihr Glück kaum fassen. Aufgeregt geben sie ihm zu verstehen, mal eben rüber zu kommen. Und natürlich will Jesse gleich loslaufen, kann aber nicht, da Chris noch immer seine Hand festhält. Der ehrgeizige PCWA-Angestellte hat mittlerweile jeden Handschlag fest im Griff.

Chris: „Darf ich dich daran erinnern, dass der Kontakt mit Fans nur in extra dafür ausgewiesenen Bereichen und unter Aufsicht des dafür abgestellten Sicherheitspersonals sowie eines PCWA-Verantwortlichen gestattet ist.“

Jesse schaut ihn irritiert an.

Chris: „Seite 146, Paragraph 56. Wenn du mir jetzt also bitte folgen würdest?“

Höflich aber bestimmt schiebt er Jesse ins Gebäude, der schnell noch ein paar Grimmassen für seine Fans und ihre Smartphones schneidet. Im Foyer angekommen löst Chris seinen Griff und Jesse deutet hastig auf die Tür: „Eine davon war Lily!“

Chris: „Lily? Wer ist Lily?“

Jesse Adams: „Eine meiner Stalkerinnen. Wenn sie mich die Show zuvor streicheln darf, bringt sie zu meinen Match-Debüts immer einen Laserpointer mit.“

Chris: „Stalkerinnen? Wie viele hast du denn?“

Jesse Adams: „Fünf. Ich liebe den Laserpointer. Mal ist der kleine rote Punkt auf den Leuchtstoffröhren, mal auf dem Turnbuckle, mal auf dem Gegner, mal—“

Chris: „Ich verstehe schon. Und du kennst alle Stalkerinnen mit Namen?“

„Natürlich. Laserpointer-Matches sind oft meine besten“, schwärmt Jesse und zündet sich eine Zigarette an, bevor er wieder hastig auf die Tür deutet: „Ich muss—“

Chris: „Darf ich dich daran erinnern, dass das Rauchen auf dem gesamten Gelände verboten und nur an extra dafür ausgewiesenen Plätzen gestattet ist. Seite 274, Pragraph 92.“

Jesse schaut ihn erneut irritiert an.

Chris: „Das steht alles in deinem Vertrag? Du erinnerst dich? Den, den du uns“, scheinbar ohne ihn zu lesen und zu wissen, was der Sinn einer Vertragskopie ist, „unterzeichnet wieder zurückgeschickt hast.“

Der blonde Mann lächelt beinahe schon entzückt.

Chris: „Ich mag entscheidungsfreudige Menschen wie dich. Ich mag Menschen, die sich an Abmachungen halten und gleich zur Sache kommen. Von diesem Schlag gibt es nur sehr wenige auf der Welt.“

Er deutet auf einen Mülleimer.

Chris: „Und die PCWA erkennt solche ganz besonderen Menschen, wenn sie sie sieht. Wenn du bitte die Zigarette ausmachen und mir weiter folgen würdest?“

Jesse drückt seine Zigarette mit voller Überzeugung am Metallrand vom Abfallbehälter aus. Er ist eben etwas ganz Besonderes. Er war schon in mehr als 21 Ligen unterwegs, hat mehr als 14 Titel getragen und sein Moveset umfasst immerhin ganze sechs Moves – inklusive Finisher.

Nach ein paar Schritten öffnet Chris eine unscheinbare Tür: „Das ist der Lockerroom.“

Hoch motiviert betritt Jesse die Umkleidekabine und stolpert als erstes über seinen offenen Schnürsenkel. Chris bleibt in der Tür stehen und rollt nur mit den Augen.

Jesse Adams: „Darf ich hier drin rauchen?“

Chris: „Wenn dein Partner nichts dagegen hat.“

Jesse Adams: „Partner?“

Chris lehnt sich gegen den Türrahmen und verschränkt interessiert die Arme vor der Brust. Jesse Adams hat tatsächlich seinen Vertrag nicht gelesen. Vermutlich wohl auch das „Kleingedruckte“ nicht, da es querfeldein im Vertrag versteckt ordnungsgemäß aufgeführt ist.

Chris: „Du solltest deinen Vertrag unbedingt noch einmal ganz genau lesen.“

Der PCWA-Angestellte lacht aufgesetzt und Jesse lacht mit ihm, weil er zwar nicht weiß, um was es geht, aber nicht ungesellig sein will.

Chris: „Lass uns zur Trainingshalle gehen.“

Die Flure sind kalt und hell. Und obwohl man hier und da Mitarbeiter sieht, die Zeug von A nach B räumen, ist es erstaunlich ruhig. Es ist befremdlich. Und als Chris erneut das Wort ergreift, zuckt Jesse innerlich zusammen.

Chris: „Dein Ringoutfit kannst du übrigens beibehalten. Darf ich dich darum bitten, dass du deine Hosen ins Kostüm gibst, damit diese noch vor der nächsten Show an den wichtigen Stellen geflickt werden können?“

Überrascht hebt Jesse eine Augenbraue.

Jesse Adams: „Kostüm?“

Chris: „Wir haben Fachpersonal, die sich um die Instandhaltung, Anpassungen und Änderungen der Ringoutfits kümmert.“

Jesse Adams: „Das habe ich bisher immer selbst gemacht.“

Chris: „Nun, dann sollte es zukünftig wohl jemand machen, der etwas mehr Expertise hat, findest du nicht?“

Er deutet auf den kleinen Schlitz im Jeansstoff direkt über dem Gesäß.

Jesse Adams: „Den Fans gefällt so ein Sneak-Peek, wenn du verstehst?“

Er zwinkert freudig und stößt Chris mit seinem Ellenbogen mehrmals in die Seite. Dieser verkneift sich nur die Bemerkung, einen völlig verblödeten Idioten vor sich zu haben und fährt mit seiner schweren Aufgabe fort, die Gradwanderung zwischen Verboten und Motivation zu meistern.

Chris: „Darf ich dich daran erinnern, dass du nur T-Shirts aus deinem Sortiment nutzen darfst, auf denen nichts zu sehen ist, was gegen Sitte und Anstand verstößt. Aber das verstehst du sicher, denn jetzt, wo du bald die große Bühne betreten wirst, wirst du mehr denn je ein Vorbild sein – auch für Kinder. Das ist eine überaus wichtige Rolle mit sehr viel Verantwortung, deinen kleinen Fans gegenüber.“

Chris öffnet eine weitere unscheinbare Tür: „Und hier haben wir das Trainingscenter. Du wirst im ganzen Wrestling-Geschäft kein besseres finden.“

„Cool, cool“, nickt Jesse eifrig und gibt damit unmissverständlich zu verstehen, dass er sich seiner überaus wichtigen Rolle natürlich bewusst ist.

Chris: „Ich wusste ja von Anfang an, dass du jemand bist, auf den man sich verlassen kann. Möchtest du keine Fotos machen?“

„Doch, doch“, nickt Jesse eifrig weiter und legt los. Auch wenn er sich noch nie für ernsthaftes Training begeistern konnte, beeindrucken ihn die unzähligen Gerätschaften schon ein wenig. So richtig Bock, sie auszuprobieren, hat er aber nicht. Seine Kondition ist zwar nicht die beste, seine Kraft nicht unbedingt überragend und seine Technik nicht gerade von dieser Welt, aber bisher hatte er auch damit immer großen Erfolg. Er hält nichts von diesen Gesundheitsfanatikern und bis zur Perfektion durchtrainierten Mannsbildern, wie den da vorn.

Chris: „Das ist MASAO.“

Ungeniert betrachtet Jesse den Schönling auf der anderen Seite der Halle ganz genau.

Chris: „Er hat heute genau wie du seinen ersten Tag hier in der PCWA.“

Der zupft sich doch die Augenbrauen! Kein Mann hat so scheiß symmetrische Augenbrauen! Jesse macht noch schnell in Unglauben ein Foto von Masao, während Chris ihn schon wieder weiter delegiert.

Chris: „Weißt du was? Ich möchte dir noch eine weitere Räumlichkeit zeigen, bevor ich euch einander vorstelle. Ist das ok für dich?“

„Klar“, sagt Jesse und lässt sich von Chris aus dem Trainingscenter schieben.

Als sie die weitere Räumlichkeit erreichen, steht Jesse in einem langen Gang mit gerahmten Bildern an den Wänden. Er kennt die Gesichter und Namen, hat aber nie deren Karriere verfolgt. Er bleibt vor dem geschlachteten Robert Barker stehen. Dieses Bild ging damals durch alle Medien und tauchte auch in seinem News-Feed auf. So viel Blut kannte er bis dato nur aus Takashi Miike Filmen. Er kichert kurz, denn dieser Vergleich ist mega und muss sofort gepostet werden.

Der Flur endet mit den einzelnen Champions der Gegenwart, die ihm wage ein Begriff sind, aber kein wirkliches Interesse bei Jesse wecken. Er vermisst die unscharfen und verwackelten Schnappschüsse der Fans. Jeder Gemeinschaftsraum in seiner bisherigen Karriere war damit zutapeziert. Aber hier sucht man vergebens nach diesen Momenten, die zeigen, was einen wahren Champion ausmachen: reihenweise Popsies beglücken.

Chris: „Schau sie dir an!“

Ertönt die dominante Stimme von Chris und Jesse zuckt erneut innerlich zusammen. Der PCWA-Angestellte steht vor den ehemaligen Cotatores Champions, in einer Denkerpose, bevor er mit dem Zeigefinger auf die Bilder deutet.

Chris: „So sehen Champions aus! Und genau dort, sehe ich dich. In einem Tag Team.“

Jesse Adams: „Tag Team?“

Chris legt seinen Arm um Jesses Schulter und geht mit ihm durch die nächste unscheinbare Tür.

Chris: „Aber das weißt du doch alles. Seite 209, Paragraph 81. Ich könnte dir jetzt die offizielle Erklärung geben, dass wir unsere Cotatores Trophy durch ein eloquentes Talent wie dich medienwirksamer gestalten wollen - aber die Wahrheit ist“, theatralisch neigt er den Kopf zur Seite und schließt die Augen, „MASAO.“

Jesse ist ganz gefangen und lauscht aufmerksam.

Chris: „Ich mache jetzt etwas, was ich sonst nie mache. Aber ich weiß, dass ich dir vertrauen kann… MASAO, dem wir vorhin im Trainingscenter begegnet sind, findet in seinem Alter kaum noch ernsthafte Engagements im Wrestling-Geschäft. Kaum eine professionelle Liga will so ein finanzielles Risiko tragen. Aber auch ein Oldster wie MASAO sollte seinen Traum leben können, findest du nicht?“

Jesse nickt aufgeregt.

Chris: „Nun, die PCWA macht das möglich. ICH mache das möglich. Aber auch ich benötige Hilfe.“

Jesse nickt verständnisvoll.

Chris: „Ich weiß, dass du eine tadellose One-Man-Show bist, aber ich möchte auch MASAO dorthin bringen, wo du schon längst angekommen bist – und das in so jungen Jahren. Sieh dich an! Ein beispielloser Wrestler UND Entertainer. Leider fehlt es MASAO ein bisschen an beidem. Er ist immer so – Nun, ja, wie soll ich sagen? – verkrampft, weshalb ihn die Fans auch kaum beachten oder gar meiden, stell dir vor. Dabei ist er ein wirklich prima Kerl, dessen Karriere ich nicht im Weg stehen will. Deshalb wird er dein neuer Tag Team Partner. Ein Oldster wie MASAO bekommt durch einen Youngster wie dich endlich die Pops, die er verdient.“

Jesse Adams: „Bin dabei.“

Chris: „Ja das bist du.“

Er lächelt zufrieden.

Chris: „Das bleibt aber unser Geheimnis, weil ihn das sonst kränken könnte. ‚Japaner‘ und ihr Stolz, du verstehst?“



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