Scene

Id
53  
Name
Heritage & Lawrence  
Summary
 
Position
24  
Scenetype
Off Camera  
Created At
2012-03-29 12:46:33  
Edited At
2012-04-01 23:45:12  
Show
CORE 2012  


Freitag, 23. März 2012.

Ungläubig starrt er auf den Zettel in seiner Hand, blickt aus der Ferne noch einmal auf das Straßenschild und schüttelt den Kopf. Er hätte ihn überall erwartet, aber sicherlich nicht in solch einem alten Herrenhaus im Südwesten Berlins, am Rande der Villenkolonie Lichterfelde-West, die 1860 gegründet wurde. Wenn ein Mann hier nicht hinpasst, dann einer dessen früherer Spitzname "Sick" lautete, der Teil von Teams wie "The Radicalz", "Sex, Drugz & Violence" und "Rotterdam Hooligans" war.

Doch das Straßenschild verrät es: Kadettenweg, Ecke Ringstraße. Genau diese Adresse hat ihm der zweite Teil von "Sick & Smoke" aufgeschrieben. Doch kann man diesem schizophrenen Jamaikaner vertrauen, das ist die Frage, die nur durch einen Gang zur Tür inklusive Klingeln verbunden ist. Der Patient läuft durch das Tor im Zaun zur von weitem schon erkennbar massiven Haustür und schickt nach einer handelsüblichen Klingel. Gibt es nicht. Stattdessen ein abgedrehter Mechanismus direkt an der Tür selbst, den man weder drücken, noch aushebeln, noch anstarren muss, wobei er Letzteres tut, bis er erkennt, dass man den vorderen Teil im Uhrzeigersinn drehen soll, damit es die gewünschte Reaktion gibt. Von Innen scheint es allerdings keine Reaktion zu geben, denn er hört keine Schritte, keine Stimme, rein gar nichts. Dann klickt es einmal und ganz langsam öffnet sich die Türe automatisch. Mit einem Mal steigt dem Patienten nicht nur ein muffiger Hauch von verbrauchtem Sauerstoff in die Nase, sondern auch relativ laute Musik. Die Bude muss ordentlich Schallisoliert sein.

Er läuft einige Schritte in das Foyer und traut seinen Augen jetzt schon kaum. Es wirkt auf ihn, als hätte er durch diese Tür eine andere Welt betreten. Fernab von Berlin, Lichterfelde-West. Fernab von der Villenkolonie. Hier sieht es doch eher nach "Sex, Drugz & Violence" aus. Pizzaschachteln, leere Flachen von hochprozentigem Alkohol, getragene Klamotten sinnlos verstreut. Nicht weil man spontan heißen Sex hatte und sich deswegen seiner Kleidung entledigte, sondern weil man an Ort und Stelle keine Lust mehr auf den Schweißgeruch des Shirts hatte. Den unterschied sieht man. Keiner macht sich vor einer schnellen Nummer die Mühe und knüllt den Stoff zwischen den Handflächen zusammen. Riecht es aber übel, tut man dies unterbewusst, um den Geruch dort zu behalten, wo er ist.

Der Patient geht zur offenstehenden Tür, die offensichtlich zu einem Flur führt. Dann läuft er immer der Nase, beziehungsweise dem Ohr nach. Neben der Musik, die dumpf aus Boxen wummert, versucht er Stimmen auszumachen. Die nächste Tür, die er selbst öffnet, führt ihn in den Wohnbereich. Was für ein surrealer Anblick. Links sitzen ein paar Kinder, spielen mit alten Actionfiguren, denen Gliedmaße fehlen. Inmitten von weiteren Bergen von Töpfen, altem Essen, Kartons. Daneben auf einer früher eierschalenweißen Couch räkeln sich ein paar leichtgekleidete Weiber, mit Zigaretten im Mundwinkeln und Flaschen in den knochigen Händen. Es würde den Patienten wundern, wenn auch nur eine davon die deutsche Sprache beherrscht. Und rechts, ganz hinten in der Ecke, an einer blitzsauberen Bar mit einer Theke aus Mahagoni-Holz, in waschechter Lounge-Atmosphäre, mit schummrigen Licht, sitzt "Sick" Samuel Lawrence im Anzug - der auch schon bessere Tage gesehen hat, aber immer noch edel wirkt - rückt sich seine Krawatte zurecht und greift dann nach einem Glas, um einen letzten Rest Scotch runterzukippen. Als hätte er den Patienten erwartet.

Samuel Lawrence: "Guck nicht so... hast du Jemand anderen erwartet?"

Jemand anderen vielleicht nicht. Aber dieses Auftreten. Lawrence gießt sich aus der Flasche erneut Scotch in das Glas, spart sich die Höflichkeitsfloskeln und bietet dem Patienten auch nichts an. Dann verschränkt er die Arme auf dem dicken Bauch. Aus dem ehemals agilen, wieselflinken Hardcore-Wrestler ist ein sesshafter, übergewichtiger Mann geworden, der mit seiner Kleidung in dieser heruntergekommenen Bruchbude auffällt, wie ein Glühwürmchen im Dunkelrestaurant Nocti Vagus. Googeln. Lohnt sich.

Samuel Lawrence: "Bob hat mir gesagt, dass du kommen wirst. Ich hätte nur nicht gedacht, dass du mich so lange warten lässt."

Tatsächlich ist es fast einen Monat her, dass er bei Bob Mile angerufen hat, um die Adresse herauszukriegen. Die Frage ist nun, ob Samuel Lawrence nun jeden Tag hier im Anzug saß um beim Patienten besonderen Eindruck zu schinden oder ob er erst normal auf der Couch saß, im dreckigen T-Shirt und sein Scotch noch ein billiges Plastikflaschenbier war und dann nach und nach die Idee keimte, hier etwas Großes aufzuziehen. Ob er nach und nach das Shirt durch ein Hemd, das Bier durch Scotch, die Couch durch eine Bar austauschte. Der Patient traut ihm Beides zu.

Samuel Lawrence: "Mach es nicht so spannend. Sag mir einfach, was du von mir willst. Ich tue auch so, als würde ich es mir überlegen, bevor ich dir ein NEIN ins Gesicht brülle..."

Der Patient wartet noch einen Augenblick und sieht die Anspannung im Gesicht des Gesprächspartners, der sich mit der rechten, vernarbten Hand über das fette Kinn reibt. Die rechte Hand, die unzählige Three Counts gezählt hat, bevor sie nach der aktiven Wrestler-Karriere auch die Ringrichter-Karriere an den Nagel gehängt hat.

"Keine Ahnung, ob du die PCWA noch verfolgst... aber ich brauche dich Ende des Monats. Du sollst einen Kampf für mich leiten."

Verächtlich zischt die Hardcore-Ikone einen Laut aus, dreht sich an die Bar und kippt sich einen ordentlichen Schluck hinter die Binde.

Samuel Lawrence: "Ich habe mit Allem gerechnet. Du willst mich beim Rumble dabeihaben, aktiv. Du willst dir Geld von mir leihen. Du willst dich bei mir ausweinen, weil alle anderen den Absprung geschafft haben und du noch immer in den Ring steigst..."

Wenn so der Absprung aussieht, dann will der Patient lieber noch ein paar Jahrzehnte in den Ringsteigen. Wollen. Nicht können.

Samuel Lawrence: "Aber dass du willst, dass ich als Ringrichter ein Match leite... das kann doch nicht dein Ernst sein. Hast du je gesehen, wie ich mich als Ringrichter mache? Warst du je bei Berlin Championship Wrestling und hast gesehen, welche tolle Arbeit ich geleistet habe?"

Der Patient schüttelt seinen Kopf. Hat er nicht.

"Ich habe gesehen, welche Matches du bestritten hast. Und für das, was ich vorhabe, kommst nur du in Frage, weil du auf beiden Seiten der Medaille genug Erfahrung mitbringst."

Lawrence dreht sich nicht um, doch der Patient glaubt zu wissen, dass er ihn an der Angel hat.

"Hier auf diesem Zettel stehen alle Details. Ich hoffe, dass du kommen wirst."

Sagt es, räumt mit dem Arm einen Teil vom Tisch frei, was einen Teil der friedlich schlafenden, leicht bekleideten Ost-Europäerinnen aufweckt und legt den Zettel auf die freie Stelle. Lawrence dreht sich nicht um. Lawrence verabschiedet nicht. Aber er hört die Schritte des Patienten, der sich umgedreht hat und den Wohnbereich, das Foyer und das Herrenhaus verlässt. Während sich der Patient draußen die Augen reibt, ungläubig welche Welt er da gerade verlassen hat und in welche er hier am Rande von Berlin wieder betreten hat, wirft Lawrence an der Bar sein Glas in die nächste Ecke. Wütend zischt er den Namen des Patienten...

"Vergiss es, Freak..."



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