Scene

Id
930  
Name
Dalm11  
Summary
 
Position
12  
Scenetype
Off Camera  
Created At
2013-09-03 16:14:50  
Edited At
2013-09-27 15:49:19  
Show
Vendetta 96  


Wenige Nächte vor Vendetta 96

Berliner Gemäldegalerie

 

 

74 x 81 cm. Das sind die Maße, die den letzten Leidensweg jenes mythischen Mannes visualisieren auf dessen Namen die bedeutendste aller Weltreligionen fußt. Eingerahmt von einem altertümlichen, wenig schmuckvoll wirkenden Holzrahmen, gemalt in Öl, von einem niederländischen Maler der Renaissance mit dem Namen Hieronymus Bosch. Drei auf dem Boden montierte Scheinwerfer durchschneiden mit ihrem weißen Licht die Dunkelheit und richten ihre Strahlen auch nächtens auf die ausgestellte Leihgabe des Genter Museum voor Schone Kunsten. In ihnen kann man man immer wieder tänzelnde, blau-graue Rauchfäden umherwabern sehen, deren Quelle ein orange-rotes Glimmen in der Finsternis ist.

Kriss Dalmi: „...es war und ist ein beliebtes Motiv der Kunstgeschichte, doch ich frage dich, wie viele Künstler sich an der visuellen Gewalt Jesu Christi, der das Kreuz nach Golgatha vor die Tore der Stadt trägt, versuchten und dann letztendlich doch scheiterten?“

Zu zweit stehen sie im Zwielicht. Hinter ihnen liegen die reglosen Körper zweier uniformierter Wachmänner. Der eine mit staunender, beinahe gerührter Miene beim Anblick der feiernden Meute, die den Erlöser umgibt, der andere mit wachsamer Analytik in den abgründigen Augen.

Kriss Dalmi: „Wie viele von diesen Künstlern haben denn wirklich verstanden, was diese Kreuzigung war? Überall trauernde, gramvolle, beschämte Gesichter. Dass ich nicht lache! Es war ein riesengroßes Spektakel, ein wahres Straßenfest, die Loveparade des Altertums! Hier wurde nicht irgendjemand gekreuzigt, der 'König der Juden' sollte sein Leben aushauchen. Sieh dir die Gesichter in diesem Bild an! Ihre Emotionen sind so verschieden und doch so einzigartig ausdrucksstark. Freudiges Grinsen, indifferente Ignoranz, verschlingender Kummer, erregtes Laben. Nur Hieronymus Bosch vermochte, die festliche Atmosphäre dieses letzten Aktes vor der Richtstätte einzufangen, so wie sie sich wahrhaft abgespielt haben musste.“

Unendliches Grauen, unendliche Schönheit, eingefangen für die Ewigkeit. Es ist einerlei für den Serben, welcher seinen Kopf zu der Gestalt neigt, die sich diesen Monolog über die Großtaten des Hieronymus Bosch für die Kunsthistorie in aller Seelenruhe zu Gemüte geführt hat und einen tiefen, leise knisternden Zug von der Zigarette nimmt.

Eleven steht dort, in seiner liebgewordensten Pose.
Wie ein gefallener Engel in schwarz, den Boden unter seinen Stiefeln entweihend und gleichzeitig zum momentanen Mittelpunkt der Welt machend.
Die Werke um ihn herum, mit Farbe und Botschaft gefüllt in Zeitaltern, die Äonen weit weg scheinen.
Für jemanden wie ihn sind all das nur Augenblicke.

Es scheint, als würde nicht er die Werke sehen.
Sondern als würden die Bilder IHN ansehen.

E11: "Kunst ist tot. DAS fasziniert mich. Nicht das Werk selbst. Die Trivialität dahinter. Beethoven saß sich den Arsch vor seinen Notenblättern blutig, bis er sich in den Wahnsinn klaviert hat. Wenn Rubens an künstlerischer Impotenz litt, frachtete er sich fette Fotzen ins Atelier. Und als Van Gogh keine Scheiß Blumen oder hässliche Pisstöpfe mehr sehen konnte, schnitt er sich das Ohr ab. Kunst ist Tod. Werke, die krank sind.. weil die Erschaffer krankten. Das sind Dinge, die ich an den nackten Wänden des Kellers sehen will. Dekoratives Elend."

Mit der brennenden Zigarette deutet er auf das Bild vor sich.
Glühende Funken kommen dem Werk gefährlich nah, versengen dann aber in der Luft wie sterbende Glühhwürmchen.

E11: "But this here? Die Kreuzigung.. Das ist so 2008. Jesus verreckt vor zweitausend Jahren an einem Holzbalken, Krähenschnäbel lutschen das Glaukom aus seinen Augenäpfeln.. Nägel ins Fleisch, Lanze in den Arsch, Essig in die Fresse.. und das Arschloch bedankt sich beim römischen Partykommando zu seinen blutigen Füssen mit Absolution und wünscht anschließend einen guten Heimweg. Soll mich der Scheiß etwa inspirieren? Hast du mich hergebeten, damit ich das feige Ableben eines mittelmäßigen Zimmermanns beklatsche? Andere Farben, verschiedene Versuche, selbes Bild. Das ist 'Hey Jude' im 'wow, ich bin so richtig gefickt kreativ'-Remix. Egal wer ihn singt und pinselt. Der Song bleibt scheiße. What the fuck, Dalmi.."

Erstaunen schleicht sich auf das Gesicht des Mannes, der seine sinnlosen Gräueltaten mit verdrehter Kunstrhetorik zu rechtfertigen sucht.

Kriss Dalmi: „A... aber siehst du es denn nicht? Siehst du nicht, wie dieses hemmungslose Straßenfest, mit all den nach Blut dürstenden Massen, die die Entmenschlichung eines armen, wahnhaften Wanderpredigers zelebrieren, als würden sie sich einer Orgie mit allen Tempelhuren Babylons hingeben! Der Gang zur Richtstätte, das Schlagen der Nägel in die Gelenke, das Aufrichten des Kreuzes, das langsame Verbluten des Verurteilten. Ist diese voyeuristische Gewaltlust nicht das, was die PCWA zu einem so wundervollen Ort macht? Auch wenn diese ganzen Kulturbarbaren es niemals zugeben würden, weil sie sich öffentlich Sitte und Moral unterwerfen, sie lieben es, sie geilen sich am Leid und der Überwindung der eigenen Schmerzgrenze auf. Und davon will ich ihnen noch so viel geben. Ich will es in ihre geifernden Mäuler stopfen, solang bis sie in Wahn und Gewalt ersticken!“

E11: "Wenn dir bei dem Scheiß, der sich grad von deiner Zunge sifft, einer ab geht, dann sag Bescheid wo du die weiße Pfütze platzieren willst, damit ich meine Stiefel wegnehmen darf.."

Eleven hat sich für den kurzen Moment genug gelangweilt.
Er steht zwischen toter Kunst und lauscht einem drogensüchtigen Freak, der sich als Kunstexperte versucht.
Again.. what the fuck.

Die nächsten Worte jagen auf Dalmi zu wie zischende Kugeln aus einer Waffe mit Silencer.

E11: "Du bist so erbärmlich wie der Rest, Boy.. Stellst deine Vorstellungen von Gewalt im Foyer der PCWA aus.. als müssten sie bewundert, kommentiert und geliked werden.. Du rennst mit Pelz vor den Eiern den Hügel hoch, weil du die armen Arschlöcher in den dunklen Höhlen mit dem Zweig erschrecken willst, der im letzten Gewitter zufällig Feuer gefangen hat.. Blut.. Scheren.. Scherben.. Zerrissenes Fleisch - das ist keine Kunstform. Das ist kein Scheiß für besondere Anlässe, wenn dir grad mal langweilig davon ist, in deinen verfaulten Zehen nach offenen Venen zu suchen. Jeder kranke Pferdeficker dort draussen kann sich intravenös das Hirn wegpflücken, in der Garage passendes Gerät zusammentragen, dem Nachbar den Schwanz abschneiden, Farbe draufgießen und das Teil sonntagnachmittags als moderne Kunst in der Dorfkirche ausstellen. Gewalt ist Instrument, Boy. Sie funktioniert, sie erfüllt den Zweck, sie ist Begleiter und Alltag. Ich weiß, was ich wegschneiden muss. Was es zu amputieren gilt. Welche Nervenbahn durchtrennt gehört, was zerteilt und neu zusammengesetzt werden muss. Wo ist dein Sinn? Dein Zweck? Wo ist DEINE Botschaft? Du wirst nie etwas sein.. außer der kranke Typ, den man in mumifiziertem Zustand nächstes Jahr von der madengefütterten Matratze eines 5 Dollar-Motels kratzt. Ich brachte dein Feuer. Ich steckte den Baum in Brand, von dem dein Zweig fiel. Ich erschaffe die Welt. Du spielst Jenga und freust dich, wenn der Turm einstürzt."

Wie tausende kleine Nadelstiche penetrieren diese Worte seinen Gehörgang und prasseln auf sein Bewusstsein nieder. Diese Worte von Eleven zu hören, ein Eingeständnis des eigenen Versagens! Es nagt an dem Junkie, dass die Inkarnation des Bösen über seine Arbeit, über seine sorgfältig angefertigte Aktionskunst wie Ian Christopher Edwards oder Robert Breads so herabwürdigend denkt. Unmerklich mischt sich in das monotone Summen der kaltweißen Gemäldestrahler auf dem Boden ein Zähneknirschen. Elevens ungerührte Miene ruht derweil immer noch auf den in Öl gemalten Gesichtern, die den bemitleidenswerten Sohn Gottes umgeben.

E11: "Danke für die Führung, Dal."

Eleven wirft seine Zigarette auf den Boden, dann dreht er sich Richtung Ausgang, wo der erste der Wachleute schon wieder allmählich keuchend zu erwachen beginnt.
Seine schwarzen Stiefel werfen dunkle Echos durch die Hallen.
Und seine Stimme des Bösen zischt wie das Geräusch fliehender Gepenster zu Dalmi.

E11: "Verrottete Köter und überfahrene Muschis vom Straßenrand zu fegen, um damit PCWA-öffentlich im Scheinwerferlicht bedauernswerte Verirrte zu hauen.. das ist weder "wahnsinnig".. noch "pervers".. noch irgendwas, was dir das Heroin wieder aus dem Schwanz speien lässt wie klebrige Lava aus einem hüstelnden Vesüvchen. Und vor allem .. ist das keine Kunst, Boy. Zeig mir Inspiration.. zeig mir Vision.. zeig mir Botschaft, Weg und Ziel. Dann .. und NUR DANN.. darfst du den Vorhang beiseite schieben.. und ich zeige dir, wie es in MEINEM Atelier aussieht."

Der AstroHappy-Süchtige dreht sich zu dem Phantom um. Frust, Enttäuschung. Alles, was er sucht ist Bestätigung. Das Wiederfinden einer verlorenen Identität, schon seit frühsten Kindheitstagen. Doch von Eleven kann er diese Bestätigung nicht erwarten. Noch nicht...

Kriss Dalmi: „Ich... ich werde dich überzeugen! Bei Vendetta 96! Sieh es dir auf jedem einzelnen deiner unzähligen Monitore an! Überzeuge dich selbst, welche Ausmaße meine Kunst annehmen kann. Ein Zeugnis größerer, blutiger Ästhetik wird es bis dahin in der PCWA nicht gegeben haben.“

Eleven hört die Worte noch, bevor er um die Ecke biegt.
Verächtlich zieht er die Augen zusammen.

E11: "Yeah, Dal. Der selbe Scheiß steht auf den Grillschürzen hier im Souvenirshop."



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